
Solltest du deinen Urlaub in Gröden verbringen wollen, darf ich dir herzlich raten, einen besonders wachen Blick auf seine Geschichte und seine natürlichen Schönheiten zu werfen. Ich bin in diesem Tal geboren und aufgewachsen, aber ich bin immer wieder überrascht, wenn die Abendröte, die die Einheimischen „Enrosadira“ nennen, die Berge mit orange-, rot- und rosafarbenen Pinselstrichen überzieht und eine einzigartige Atmosphären schafft; oder wenn ich an unsere Traditionen denke und mir bewusst wird, wie viel Geschichte der kleinen Leute, die im Laufe der Jahrhunderte hier gelebt haben, wo ich heute selbst lebe, erhalten geblieben ist, obwohl sie sich der heutigen Zeit angepasst haben. Deshalb würde ich dich gerne auf einige Geschichtsabschnitte und zu einigen Orten führen, in der Hoffnung, dass auch du davon fasziniert sein wirst.
BEGINNEN WIR MIT DER HOLZSCHNITZEREI.




Wenn du heute die Dörfer St. Ulrich, Sankt Christina oder Wolkenstein besuchst, kannst du es nicht übersehen, wie das Holz und die Schnitzerei, die Verarbeitung dieses einfachen und zugleich kostbaren Materials Teil unserer Identität sind. Es ist eine Geschichte der Kreativität, des Unternehmertums, aber auch der Armut, die die Entwicklung der Holzschnitzerei ermöglicht hat. Um das 16. und 17. Jahrhundert waren es zunächst zwei Familien, die geschnitzt haben und Heiligenfiguren und Altäre für Kirchen erzeugten. Später, ab dem Jahr 1800, begannen in diesem Tal, das ausschließlich von der Landwirtschaft lebte, dank der großen Verfügbarkeit an Holz im Wald auch weitere Familien kleinere Objekte zu schnitzen, die dann auf Märkten verkauft wurden, zum Beispiel in Klausen. Es war eine Gelegenheit Geld in die Familie einzubringen, besonders in den Wintermonaten, als die landwirtschaftliche Arbeit stillstand. So begann ein langsames und stetiges Wachstum dieses Nebenerwerbs, bis Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Bau der Straße und dann auch der Eisenbahn ein Aufschwung einsetzte: Das Grödner Tal war nicht mehr abgeschnitten und somit erlebte das Gewerbe der Holzschnitzerei ein bis dahin ungeahntes Wachstum. Die Kunstschule, die auch ich besucht habe, spielte eine zentrale Rolle in der Berufsausbildung der Jugendlichen; insbesondere zwischen den Dreißiger- und Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts konnten dank der Schule im Tal stilistisch neue Wege eingeschlagen werden.
Wenn du spazieren gehen möchtest, gehe dorthin, wo früher die Bahntrasse war . . .
In Gröden gibt es einen Fußweg, den wir die „Zug-Straße“ nennen. Er verläuft durch das gesamte Tal und ermöglicht es, bis auf einige kurze Unterbrechungen, zu Fuß von St. Ulrich bis nach Wolkenstein zu gelangen. Ich empfehle diese Wanderung oft, nicht nur weil es die attraktive Möglichkeit bietet, das Tal aus einer anderen Perspektive als vom Auto aus zu entdecken, sondern vor allem, weil dieser Weg bis 1960 die Strecke der 1915 gebauten Dampfeisenbahn war. In meiner Kindheit war dieser Zug, den ich nicht mehr erlebt habe, wie für uns ein Mythos.
Ende des 19. Jahrhunderts, als der Markt für Holzskulpturen anwuchs, hatte es bezüglich des Baus einer Eisenbahn mehrere Pläne gegeben, weil eine Bahnverbindung ins Eisacktal sehr nützlich gewesen wäre, um die erzeugten Holzschnitzereien aus dem Tal zu befördern. Zustande gekommen ist die Bahnverbindung dann – in kürzester Zeit – aus völlig anderen Gründen: Der Erste Weltkrieg war ausgebrochen. Die Dolomiten wurden zum Frontgebiet zwischen Österreich-Ungarn und Italien. Wien brauchte Nachschubkanäle für Waffen und Munition für die Dolomitenfront. Also wurde von Klausen bis Plan eine Eisenbahn gebaut, von dort erreichten Materialseilbahnen das Grödner Joch und den Sella-Pass. 6.000 russische Gefangene wurden als Zwangsarbeiter für den Bau herangeschleppt. Ich erinnere mich an die Geschichten unserer Großeltern, die von diesen armen hungrigen Kriegsgefangenen erzählten, von deren nostalgischen Liedern, von deren seltsamer Sprache, von Menschen von außerhalb eben, an die das Grödner Tal nicht gewohnt war.
Nach Ende des Krieges und mit der Annektion Südtirols an Italien wurde die Eisenbahn zum Transportmittel für Einheimische und auch für Touristen. Tatsächlich begann sich zu der Zeit der Tourismus zu entwickeln und er öffnete die Tore für eine wirtschaftliche Veränderung meines Tals. Samstags sah man an den Haltestellen die Hausmeister der Hotels, die das Gepäck der ersten Elite Touristen abholten. 1960 wurde die Eisenbahn stillgelegt: sie war nicht mehr rentabel; hinzu, überquerte sie 15 Male die Landstraße. Wenn du heute auf der einstigen Schienenspur spazieren gehst, kannst du ein Stück unserer Geschichte noch einmal erleben und dir vielleicht den Dampfstoß der Lokomotive vorstellen. Entlang dieser alten Bahnstrecke lade ich dich ein, in La Poza, dem Weiler zwischen Wolkenstein und St. Christina, Halt zu machen. Denn ja, ich wohne genau hier, in einem Haus mit Blick auf die Strecke der alten Eisenbahn. Meine Werkstatt hat die Tür stets für all jene offen, die den Spaziergang und die Landschaft genießen und bei der Gelegenheit sich vielleicht auch meine Kreationen ansehen möchten. Markiere die Adresse und folge der Zugtrasse. Du findest mich hier.
Meine weiteren bevorzugten Wanderwege
Wir können nicht über Gröden sprechen, ohne dessen überwältigende Naturlandschaft zu erwähnen. Von Pontives im Talboden aus bis in die Höhen von Sella-Pass und Grödner Joch, und weiter bis zu der atemberaubenden Kulisse der Odles und Puez-Gebirgsgruppe gibt es unzählige Möglichkeiten für Spaziergänge, Trekkings und Klettertouren. Als die UNESCO die Dolomiten 2009 zum Weltkulturerbe ernannte, waren wir alle stolz und uns der Verantwortung, die wir tragen, bewusst, um zu bewahren und zu schützen, was uns die Natur geschenkt hat.
Die Magie der Legenden
Die Magie, die von unseren Bergen ausgeht, haben bereits Generationen vor uns erkannt. Nicht umsonst sind rund um die Dolomiten zahlreiche Legenden entstanden, angeregt eben durch die Lichter, Schatten und Farben unserer imposanten Berge. Es wird zum Beispiel erzählt, dass der Langkofel, der Finger eines Riesen ist, der in die Tiefe der Erde verpflanzt wurde.
Möchtest du einige Wandervorschläge hören?
Jede Wanderung öffnet deine Seele, aber diese sind meine drei Favoriten.
Pic-Berg Ausflug
Von St. Christina aus mache ich mich auf den Weg, vorbei an der gleichnamigen Hütte, zum Sëurasass Felsplateau. Dort setze ich mich stets unter dem massiven, in Holz geschnitzten Kruzifix nieder. Von hier aus erreiche ich anschließend die Spitze des Pic-Berges (2363m) Der Pic-Berg hat die Form von einem kleineren Vulkan, der inmitten der Kalksteingipfel grün emporschaut. Dieser faszinierende Weg durchquert zunächst den Zirbelkiefernwald mit seinem unverkennbaren Duft und führt dann hinauf über die weiten offenen Almwiesen bis zum Gipfel. Dalla cima Pic godo di un panorama incantevole a 360o su tutte le montagne della Val Gardena e dell’Alpe di Siusi.
Langkofelgruppe Rundgang
Vom Sella Joch aus führt mich der Friedrich-August-Weg unter den imposanten senkrechten Felsen der Langkofel-Gruppe vorbei. Ich treffe auf die Sandro Pertini-Hütte und die Plattkofel Schutzhütte (2300m). Von hier geht es unterhalb der Westseite des Plattkofels mit Blick auf die Seiser Alm in Richtung der Langkofel-Schutzhütte, die sich in der Scharte mitten in dieser korallinen Felsenformation befindet. Unter den noch imposanteren senkrechten Felsen der Nordseite des Langkofels kehre ich zum Sella-Joch zurück.
Diese Wandertour um die Langkofelgruppe fasziniert mich immer wieder aufs Neue, weil sie einen offenen Blick über das gesamte Fassa-Tal, der Seiser Alm, dem Pic-Berg und Stevia sowie dem massiven Sella-Stock bietet.
Ausflug zum Stevia Berg
Von Wolkenstein aus erreiche ich die Juac-Hütte. Von dort steige ich den steilen Weg hinauf bis zur Silvester-Scharte. Eine kurze Strecke über einen ausgesetzten Steig und ich befinde mich auf dem weichen grünen Plateau von Stevia auf 2300 m. Den Abstieg nehme ich über den idyllischen Palota-Steig.
Beide Wege, sowohl bergauf als bergab, sind fabelhaft, weil sie einen ständigen Wechsel zwischen duftenden Wäldern und blass-rosa Felsen bieten. Die Krönung ist das Hochplateau mit wiederum einen unermesslichen Blick auf den oberen Teil des Grödner Tales.
Genau solche Wanderungen inspirieren mich bei meiner Arbeit. Die Dolomitengipfel, die sich über die Almen erheben, die grünen Wälder, die ab 1500 Meter in duftende Zirbelwälder übergehen, all das stellt eine ursprüngliche und natürliche Verbindung zu Kultur, Skulptur und Malerei in meinem Tal dar.
Wenn du mich zufällig in meinem Ausstellungsraum an der Ex-Bahntrasse in La Poza, dem Weiler vor Wolkenstein, wo ich wohne, besuchst, werde ich dir gerne meine Ratschläge zu diesen einzigartigen Wanderungen geben!
Meine Sprache
Wir sprechen zu Hause Ladinisch, eine neulateinische Sprache, die im Zuge der römischen Eroberung des Alpenraums entstanden ist. Sie entwickelte sich aus der Vermischung der keltischen bzw. rätischen Kultur mit dem Lateinischen und war damals die am weitesten verbreitete Sprache in den Alpen. Erst während der Völkerwanderung wurde das Ladinische zurückgedrängt. Aus derselben Familie stammen neben dem „Ladin dla Dolomites“ das „Friulan“ im Friaul und das „Rumantsch“ der Graubündner in der Schweiz. Aus heutiger Sicht scheint diese Zersplitterung merkwürdig, aber wenn man Jahrhunderte zurückgeht, war dieses Gebiet eben geografisch eine Einheit.
Wir sprechen zu Hause Ladinisch, eine neulateinische Sprache, die im Zuge der römischen Eroberung des Alpenraums entstanden ist. Sie entwickelte sich aus der Vermischung der keltischen bzw. rätischen Kultur mit dem Lateinischen und war damals die am weitesten verbreitete Sprache in den Alpen. Erst während der Völkerwanderung wurde das Ladinische zurückgedrängt. Aus derselben Familie stammen neben dem „Ladin dla Dolomites“ das „Friulan“ im Friaul und das „Rumantsch“ der Graubündner in der Schweiz. Aus heutiger Sicht scheint diese Zersplitterung merkwürdig, aber wenn man Jahrhunderte zurückgeht, war dieses Gebiet eben geografisch eine Einheit. Die Invasionen der Barbaren zuerst und die politischen Aufteilungen später trennten diese Sprachengruppe und somit folgte jede einer eigenen Entwicklung, im Fall des Grödner Tales mit starken Einflüssen aus dem germanischen Raum. Wir sind ein dreisprachiges Tal und sprechen in der Schule Deutsch, Italienisch und Ladinisch. Möchtest du einige Beispiele aus dem „Ladin“?
Hier sind einige Bezeichnungen aus meinem beruflichen Bereich, der Holzschnitzerei.
ITALIANO
scolpire
pitturare
Legno cirmolo
larice
abete
presepe
statuina
scodella in legno
profumo del bosco
LADIN
ziplé
depënjer
lën de zirm
leresc
pëc
cripl
figura/mandl
cop de lën
tof dl bosc
TEDESCO
schnitzen
malen
Zirbelkiefer
Lärche
Fichte
Krippe
Figur
Holzschale
Waldduft
ENGLISH
sculpting
painting
Swiss Pine wood
larch
fir
nativity
figurine
wood bowl
scent of the woods